Wertstromanalyse

„Wo immer es ein Produkt für einen Kunden gibt, gibt es auch einen Wertstrom.
Die Herausforderung liegt darin, ihn zu sehen.“

Mike Rother, John Shook – Sehen lernen

Allgemein

Die Wertstromanalyse ist ein Werkzeug um Herstellungsprozesse, bzw. genauer deren Wertstrom zu visualisieren und die Analyse sowie Optimierung zu ermöglichen. Es werden alle Aktivitäten, also sowohl wertschöpfende wie nicht-wertschöpfende Aktivitäten, die zur Herstellung eines Produktes notwendig sind, erfasst. Zusammen mit dem Fluss der Materialien und Informationen, sowie Prozess- und Lagerdaten entsteht ein ganzheitliches Bild der Fertigung.

Die Wertstromanalyse, im Englischen Value Stream Mapping (VSM) stellt den ersten Teil des Wertstrommanagements dar. Zielsetzung hier ist es zunächst den IST-Zustand aufzunehmen, nicht-wertschöpfende Prozesse und Verschwendung zu identifizieren. Nach der Analyse wird in der Phase des Wertstromdesigns ein SOLL-Zustand entworfen, der Liegezeiten verkürzt und die nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten eliminiert. Die Zielsetzung ist dabei einen Wertstromfluss mit kurzer Durchlaufzeit und einem hohen Anteil an Wertschöpfung zu schaffen. In der letzten Phase, der Wertstromplanung wird der Übergang vom IST- zum SOLL-Zustand geplant und vollzogen.

In ihrem Standardwerk „Sehen lernen – Mit Wertstromdesign die Wertschöpfung erhöhen und Verschwendung beseitigen“ (Link zu Amazon) von Mike Rother und John Shook werden unter einem Wertstrom sowohl den Fertigungsstrom vom Rohmaterial zum fertigen Produkt als auch den Entwicklungsstrom vom Produktkonzept bis zum Produktionsstart. Beide Wertströme lassen sich auch mit der Wertstromanalyse untersuchen. Der Fokus liegt hier aber zunächst auf dem Fertigungsstrom, also von „Rampe-zu-Rampe“. Im Zuge der Wertstromanalyse wird dieser Wertstrom rückwärts von den Kundenanforderungen zurück zum Rohmaterial erfasst und analysiert.  

Methode und Vorgehen

1. "Segmentierung der Produktion": Auswahl eines Produkts oder Produktfamilie

Vor Beginn der Analyse muss eine passende „Flughöhe“ gefunden werden. Den gesamten Wertstrom über alle Unternehmensbereiche und Produktfamilien zu betrachten ist nicht realistisch und zielführend. Eine Möglichkeit zum Einstieg ist es mit verschiedenen Priorisierungsmethoden ein erstes Produkt oder eine Produktfamilie auszuwählen. Für ein einzelnes Produkt bietet sich die ABC/XYZ-Analyse an. Für die Zusammenführung und Auswahl einer Produktfamilie sollte auf Basis der am Ende stattfindenden Fertigungsschritte eine passende Zusammenführung zu wählen. Nach Auswahl hilft ein SIPOC-Prozessdiagramm die richtigen Start- und Stoppereignisse auszuwählen. Klassischerweise ist das der Eingang einer Bestellung und als Stopp die Auslieferung ebendieser Bestellung. Die Start- und Stoppereignisse dienen dazu, den Betrachtungsrahmen sauber abzuschließen und eine trennscharfe Analyse im nächsten Schritt.

2. Ermittlung des Kundentakts

Zu Beginn einer Wertstromanalyse wird der Kundentakt für den Wertstrom bestimmt. Dieser ergibt sich aus der durchschnittlichen Nachfrage des Kunden für das in Schritt 1 ausgewählten Produkts bzw. der Produktfamilie und der verfügbaren Zeit.

 Beispielhafte Annahmen:

  • Jahresbedarf des Kunden beträgt 12.000 Stück
  • Fertigungskapazität beträgt 48 Wochen (á 5 Arbeitstag im Zweischichtbetrieb mit 8 Arbeitsstunden (=28.800 Sek) pro Schicht)

Berechnung:

  • Fertigung pro Schicht = Tagesbedarf (=12.000ST / 50Wochen / 5 Arbeitstage=48) / Schichten pro Tag = 48 ST / 2 Schichten = 24 ST/Schicht
  • Kundentakt = Zeit pro Schicht / Fertigung pro Schicht = 28.800 Sek / 24 Stück = 1.200 Sek / ST

Der Prozess muss also in der Lage sein, alle 1.200 Sekunden (20 Minuten) ein Produkt herzustellen, um den durchschnittlichen Kundenbedarf zu bedienen. Ein Prozess, der schneller als der Kundentakt produziert kann daher die Nachfrage decken, ein Prozess der langsamer als der Kundentakt ist, deckt den Kundenbedarf nicht.

3. Prozessdiagramm visualisieren: Beispielhaftes Wertstromdiagramm

Auf dem Bild ist ein Wertstromdiagramm zu sehen. Das Wertstromdiagramm zeigt den Materialfluss vom Zulieferer bis zum Versand in fünf aufeinanderfolgenden Prozessschritten: Zuerst die Zuschnitt-Station (Zykluszeit 30 Sekunden, Rüstzeit 25 Minuten, Liegedauer 1 Tag), dann Umformen (30 Sekunden, 10 Minuten, 2 Tage), gefolgt von Reinigen (10 Minuten, 2 Minuten, 0,5 Tage) und Anlassen (5 Minuten, 0 Minuten, 1 Tag). Abschließend erfolgt der Versand an den Kunden. Unterhalb der Prozesskästen sind für jeden Schritt die Zeiten dargestellt, und am Fuß des Diagramms werden die Gesamt-Durchlaufzeit von 4,5 Tagen sowie die reine Wertschöpfungszeit von 16 Minuten ausgewiesen.

Zunächst gilt es den gesamten Wertstrom zu visualisieren. Die Beobachtung erfolgt vom Warenausgang bzw. vom Kunden zurück zum Rohmaterial.

3.1 Material- und Informationsfluss erfassen

  • Unterscheidung von Push/Pull Materiaflüssen.
  • Berücksichtigung von Kontrollen von erhaltenen Waren und Qualitätskontrollen
  • Dokumentation der Fliesrichtung von Informationen, eingehenden Bestellungen, die für die Produktion freigeben werden (Art, Häufigkeit, Freigaben, Auftragsvermittlung)

3.2 Prozessdatenboxen und -zeiten definieren

Dokumentation aller prozessrelevanter Daten (Bearbeitungszeit, Rüstzeit, Ausschussrate, Ertrag, Maschinenverfügbarkeit etc.); Definition der Prozess-bezogenen Durchlaufzeiten und der anteiligen, wertschöpfenden und nicht wertschöpfenden Zeiten; Ableitung von Indikatoren zur Bestimmung der Prozesseffizienz.

3.3 IST-Zustand validieren

Als letzten Schritt sollten alle, die am Prozess beteiligt sind, das erstellte Wertstromdiagramm überprüfen, um alle Schnittstellen und Material- und Informationsflüsse zu validieren.

4. Potenziale ableiten und SOLL-Zustand definieren

Wenn das Wertstromdiagramm fertig erstellt und validiert wurde, kann es nun genutzt werden, um Verschwendungen aufzudecken (Wenn diese durch die Visualisierung nicht bereits an einigen Stellen offensichtlich geworden sind). 
Gemeinsam mit den Prozessverantwortlichen kann mit Wertstromdesign nun ein neuer Soll-Prozess definiert werden, um den Kundentakt besser zu erfüllen.